Die Corona-Epidemie stellt unsere Gesellschaft vor viele Herausforderungen – einschließlich einer Reihe von rechtlichen Fragen. Mit unseren Artikeln aus der Corona-Serie möchten wir ausgewählte Themen im Zusammenhang mit betrieblichen, transaktionalen und regulatorischen Fragen selektiv hervorheben.
Aus gegebenem Anlass richtet sich das Augenmerk gegenwärtig auf die Frage nach den Rechtsfolgen, wenn Verträge aufgrund der Coronavirus-Epidemie nicht (mehr) durchgeführt werden oder durchgeführt werden können. In diesem Zusammenhang fällt auch oft das Stichwort “höhere Gewalt”. Wir wollen deshalb am Beispiel des Absagens von Veranstaltungen kurz in die Rechtsinstitute der sog. rechtlichen Unmöglichkeit, der Störung der Geschäftsgrundlage und der höheren Gewalt einführen. Absagen von Veranstaltungen treffen viele Rechtsverhältnisse: Vermieter-Veranstalter-Austeller-Messebauer-Teilnehmer-Hotels-Beförderungsunternehmen. Oft werden durch die Absage von Veranstaltungen Aufwendungen nutzlos und leiden Betroffene unter wirtschaftlichen Schäden.
Wir wollen uns nachfolgend auf das Beispiel der Absage von wissenschaftlichen die Absage von Veranstaltungen aus epidemiologischen Gesichtspunkten beschränken und hierbei zwei Ausgangssituationen unterscheiden: (i) die eigenmotivierte Absage von Veranstaltungen und (ii) die Absage aufgrund behördlicher Anordnungen.
Allgemein
Sagt der Veranstalter eine Veranstaltung ab, möchte er sich zum einen zur Vermeidung von unnötigen Kosten von seinen vertraglichen Verpflichtungen lösen. Zum anderen haben Dritte angesichts der nunmehr abgesagten Veranstaltung Aufwendungen getroffen, die nunmehr nutzlos werden. – Jedoch möchte niemand auf seinen Kosten sitzen bleiben. Sofern für diesen Fall keine vertraglichen Regelungen getroffen wurden, kommen im wesentlichen zwei gesetzliche Anspruchsgrundlagen in Betracht.
§ 275 BGB – die Regelung der sog. Unmöglichkeit
Gemäß § 275 BGB ist ein Anspruch auf Leistung ausgeschlossen, soweit diese für den Schuldner oder jedermann unmöglich ist. Wenn A dem B eine Leistung verspricht, deren Erfüllung dem A unmöglich ist, muss A dem B gegenüber diese Leistung nicht erbringen. Das heißt jedoch nicht, dass sich A nicht schadensersatzpflichtig gegenüber B machen kann. Es kommt hier darauf an, wer (z. B. ob A) die Unmöglichkeit zu vertreten hat.
§ 313 BGB – die Störung der Geschäftsgrundlage
Es gibt jedoch auch Fälle, in denen die Parteien eines Vertrags explizit oder implizit davon ausgehen, dass entweder bestimmte oder allgemeine Umstände die Durchführung des Vertrag erlauben werden. § 313 BGB sieht deshalb vor, dass im Falle einer schwerwiegenden Veränderung der Umstände, die zur Grundlage des Vertrages geworden sind, die von diesen Umständen betroffene Vertragspartei die Anpassung des Vertrages verlangen kann. Voraussetzung ist, dass der betroffenen Partei das Festhalten am Vertrag nicht zugemutet werden kann. Wenn eine Anpassung des Vertrages nicht möglich oder nicht zumutbar ist, kann der Vertrag beendet werden. Denkbare Anwendungsfälle wären zB eine außergewöhnlich plötzliche, starke und allgemeine Verknappung der Verfügbarkeit von bestimmten Produkten, wobei die Gerichte regelmäßig sehr hohe Anforderungen stellen.
Es ist jedoch zu beachten, dass Ansprüche aus § 313 BGB in erster Linie auf die Anpassung des Vertrags (also eine Änderung der Leistung) gerichtet sind. Nur in Ausnahmefällen ist es der betroffenen Partei erlaubt, sich vom Vertrag zu lösen. Und auch in diesem Fall sieht die Rechtsprechung in der Regel die Zahlung eines Aufwendungsersatzes an den Vertragspartner vor.
Höhere Gewalt?
Es gibt keinen allgemeinen Rechtsgrundsatz, dass sich Parteien wegen “höherer Gewalt” von ihren vertraglichen Verpflichtungen lösen können. Ansprüche aus höherer Gewalt ergeben sich lediglich in Reiserecht, im UN-Kaufrecht oder aus entsprechender getroffener vertraglicher Regelungen (die auch in allgemeinen Geschäftsbedingungen enthalten sein können). Sofern der Veranstalter also keine speziellen vertraglichen Absprachen z. B. mit dem Vermieter des Veranstaltungsorts, Ausstellern oder Teilnehmern für den Fall von “höherer Gewalt” vereinbart hat, findet das Konzept der höheren Gewalt im Rahmen der Absage von Veranstaltungen aus epidemiologischen Gründen keine Anwendung.
Vorgehen
Ist man vom Ausfall einer (wissenschaftlichen) Veranstaltung betroffen, sollte man zunächst prüfen, ob im Vertrag Regelungen zur höheren Gewalt vorgesehen sind. Die SARS-Epidemie im Jahr 2003 z. B. wurde von den Gerichten als höhere Gewalt eingeordnet. Sind keine Regelungen vorhanden, kommt ggf. ein Anspruch aus Unmöglichkeit (§ 275 BGB) oder aus einer Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) in Betracht.
Eigenmotivierte Absagen
Unter “eigenmotivierten Absagen” verstehen wir Absagen von Veranstaltungen, die nicht auf behördlichen Anordnungen beruhen. Solche Absagen können im Fall der Corona-Epidemie aus verschiedenen Gesichtspunkten motiviert sein: (i) aus eigenverantwortlicher Einschränkung von Infektionsrisiken, (ii) wegen der Absage der Vortragenden, oder z. B. wegen der Absage einer großen Zahl von Teilnehmern.
Keine Unmöglichkeit
Wenn der Veranstalter eigenmotiviert eine Veranstaltung absagt, liegt in der Regel keine rechtlich relevante Unmöglichkeit im Sinne des § 275 BGB vor, die den Veranstalter von seinen Leistungen gegenüber dem Vermieter der Location, Austellern oder Teilnehmern befreit. Solange keine behördliche Empfehlung oder ein behördliches Verbot besteht, ist es dem Veranstalter nicht unmöglich, die Veranstaltung durchzuführen. Die Absage von Vortragenden oder Teilnehmern fällt ohne behördliches Verbot in den Risikobereich des Veranstalters, den er zu vertreten hat.
Störung der Geschäftsgrundlage
Wenn das Prinzip der rechtlichen Unmöglichkeit keine Anwendung findet, können sich dennoch Ansprüche aus einer Störung der Geschäftsgrundlage gem. § 313 BGB ergeben. Zunächst muss die Durchführung der Veranstaltung zur Geschäftsgrundlage des jeweiligen Vertrags (z. B. Mietvertrag mit dem Vermieter der Location, Verträge des Veranstalters mit Ausstellern oder Teilnehmern) geworden sein. Das ist der Fall, wenn der Verwendungszweck der anderen Partei bei Vertragsschluss mitgeteilt oder für die andere Partei erkennbar war und wenn beide Parteien ihren Geschäftswillen dergestalt aufbauen, dass das Verlangen nach Durchführung des Vertrags trotz der Zweckstörung treuwidrig und nicht zumutbar wäre. Sodann müssen sich die Umstände nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert haben, so dass der Vertrag entweder nicht oder mit einem anderen Inhalt geschlossen worden wäre, wenn die Vertragsparteien die Änderung vorausgesehen hätten. Letztlich muss das Festhalten am unveränderten Vertrag für die betroffene Partei unzumutbar sein. Die Konzeption der Tatbestandsmerkmale lässt bereits erahnen, dass sachgerechte Entscheidungen immer im Einzelfall zu treffen sind und nicht verallgemeinert werden können. Dennoch wollen wir versuchen, für den Fall der Absage einer wissenschaftlichen Tagung rechtliche Ansatzpunkte aufzuzeigen.
Im Verhältnis zwischen Veranstalter und Vermieter des Veranstaltungsorts ist die Durchführung der wissenschaftlichen Tagung ist dann zur Geschäftsgrundlage geworden, wenn sie für die Parteien bei der Preisbemessung maßgeblich war. Im Fall einer Tagung kann dies zutreffen, wenn z. B. Veranstalter und das Management des Veranstaltungsorts (z. B. Tagungshotel) die Berechnung der Tagungskosten auf Basis der Teilnehmerzahlen vorgenommen haben.
Die Absage aller Vortragenden einer wissenschaftlichen Veranstaltung wegen des Ausbruchs einer Epidemie kann als schwerwiegende Veränderung der Geschäftsgrundlage angesehen werden. Es kann nicht angezweifelt werden, dass die Parteien einen anderen Vertrag geschlossen hätten, wenn sie Kenntnis von diesem Umstand gehabt hätten.
Die Beurteilung der Frage, ob dem Veranstalter ein Festhalten am Vertrag zumutbar wäre, bedarf einer Entscheidung im Einzelfall. Für die Annahme einer Unzumutbarkeit ist kein Raum, wenn nach der vertraglichen oder gesetzlichen Regelung derjenige das Risiko (z. B. den Ausfallschaden) zu tragen hat, der sich auf die Störung der Geschäftsgrundlage beruht. Das Recht geht hierbei grundsätzlich davon aus, dass z. B. der Schuldner einer Sachleistung das Beschaffungsrisiko, der Gläubiger einer Geldleistung das Risiko der Geldentwertung und der Mieter das Verwertungsrisiko tragen. D.h. der Veranstalter, der eine Veranstaltungshalle mietet, müsste (mangels entsprechender einzelvertraglicher Absprachen) trotz Ausfalls der Veranstaltung die Miete zahlen. Unter Anwendung des § 313 BGB lassen sich jedoch interessengerechtere Lösungen finden.
In einer Entscheidung aus den 50er Jahren erkannte die Rechtsprechung auf Unmöglichkeit in einem Fall, in dem eine Theaterveranstaltung wegen des krankheitsbedingten Ausfalls der Hauptdarstellerin ausfiel. Richtigerweise kann man hier eine Störung der Geschäftsgrundlage annehmen. Sagen z. B. alle Vortragenden pandemiebedingt ab, kann das Festhalten am Vertrag für den Veranstalter unzumutbar sein.
Der betroffene Veranstalter kann in diesem Fall ggü dem Vermieter des Veranstaltungsorts die Anpassung des Vertrags verlangen. Eine solche kann – je nach den Umständen des Einzelfalls – auch in der Auflösung des Vertrags gegen Zahlung eines Aufwendungsersatzes durch den Veranstalter liegen. Die Zahlung eines Aufwendungsersatzes durch den Veranstalter ggü dem Vermieter des Veranstaltungsorts sollte in der Regel – je nach Umfang des vom Vermieter bereits getroffenen Aufwands – jedenfalls zu einer Limitierung des Ausfallschadens führen.
Absagen aufgrund behördlicher Anordnungen
Die Rechtslage bei Absagen wegen behördlicher Anordnungen aufgrund von Maßnahmen des epidemiologischen Infektionsschutzes ist eindeutiger.
Wenn die Durchführung einer Veranstaltung aufgrund behördlicher Anordnungen zum Infektionsschutz untersagt wird, ist sie im rechtlichen Sinne unmöglich geworden. Der Veranstalter kann und darf die geplante Veranstaltung nicht mehr durchführen. Weder der Veranstalter noch Aussteller und Teilnehmer haben sein solches behördliches Verbot zu vertreten. (Das wäre natürlich etwas anderes, wenn z. B. der Veranstalter die Gesundheitsgefahr verursacht hätte.)
Der Veranstalter wird von seiner Leistung gegenüber Ausstellern und Teilnehmern und Vortragenden frei. Er verliert allerdings auch seinen Anspruch auf Gegenleistung. Beispielsweise muss der Veranstalter in diesem Fall einem Aussteller keinen Ausstellungsplatz zur Verfügung stellen; allerdings verliert er auch seinen Anspruch auf Zahlung der Ausstellergebühr. Die grundsätzliche Verpflichtung des Veranstalters zur Leistung von Schadensersatz sollte entfallen, da er die behördliche Untersagung aufgrund des epidemiologischen Infektionsschutzes nicht zu vertreten hat.
Gegenüber dem Vermieter des Veranstaltungsorts sollte sich der Veranstalter auf eine Störung der Geschäftsgrundlage berufen können. Die Regelungen der Unmöglichkeit sollten nicht greifen, da dem Veranstalter die Anmietung des Veranstaltungsorts selbst nicht untersagt – also nach wie vor möglich – ist. Ein behördliche Untersagung von Veranstaltungen aus Gründen des epidemiologischen Infektionsschutzes dürfte jedoch eine schwerwiegende Veränderung der Geschäftsgrundlage darstellen, die ein Festhalten am Vertrag unzumutbar macht. Sofern der Mietvertrag über den Veranstaltungsort für einen solchen Fall keine speziellen Regelungen vorsieht, kann auch hier wieder die Auflösung des Vertrags gegeben Zahlung einer Aufwandsentschädigung an den Vermieter in Frage kommen.
Geltendmachen der Rechte erforderlich
Wichtig ist für betroffene Personen, dass sie alle ihre Rechte aus § 275 (Unmöglichkeit) und § 313 (Störung der Geschäftsgrundlage) geltend machen, d.h. der anderen Vertragspartei gegenüber erklären, müssen. Eine automatische Vertragsanpassung durch die Gerichte findet nicht statt.
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