Beitrag von Peter Lotz, M.C.J. (NYU) Rechtsanwalt, Attorney-At-Law (N.Y.) MAYRFELD Rechtsanwälte & Attorneys-At-Law

Was ist ein Vertrag wert? Wie wir den Wert eines Vertrags bestimmen und warum wir ihn schätzen sollten.

Kürzlich hatte ich eine Unterhaltung über die Verhandlung von F&E-Kooperationen mit einem Vertreter einer hoch angesehenen deutschen Forschungsgesellschaft. Er begann die Unterhaltung mit der Frage, ob Anwälte auch im Rahmen der Verhandlungen über den Vertragspreis beraten würden. Sodann redeten wir über vertragliche Vergütung und andere Konditionen, als ich bemerkte, dass wir eigentlich über einen anderen, jedoch verwandten Punkt sprechen sollten: Vertragswert. Nun, man könnte meinen, dass sei ein sehr geschäftsmäßiger Ansatzpunkt, aber wir schließen letztlich Verträge ab, um Geschäfte zu tätigen. Ich glaube, dass unter Verhandlungsparteien (abgesehen vom wissenschaftlichen Aspekt) dem Konzept des Vertragswerts unterschiedliche Prioritäten eingeräumt werden, in Abhängigkeit von der Jurisdiktion und der Kultur, in der man sich bewegt. Warum sollte ein Anwalt über einen Punkt schreiben, der so intrinsisch mit den (rein) geschäftlichen Aspekten einer Transaktion verbunden ist? Nun ja, weil von einem Anwalt erwartet wird, eben jenen Vertragswert rechtlich abzusichern. Anwälte sind diejenigen, die im Rahmen von Vertragsverhandlungen Anmerkungen aus den unterschiedlichsten Abteilungen erhalten, seien es Management, Finance, Controlling, Qualitätssicherung, Vertrieb, Produkt-Management, oder F&E – und alle verbinden mit der Transaktion einen bestimmten Wert bzw. haben ihre speziellen Bedenken bezüglich der Absicherung desselben. Preis macht den Unterschied, aber der Wert drückt sich nicht nur in Geld aus.

Aber was ist nun der “Vertragswert”? Als Diskussionsgrundlage folgen nachfolgend zwei Definitionen des Begriffs „Vertragswert“, wie man sie typischerweise in einschlägigen Nachschlagewerken finden kann: „der letztlich ausgehandelte oder angebotene Preis eines Vertrags“ (business dictionary) oder die „letztlich ausgehandelten oder angenommenen Kosten eines Geschäfts“ (the law dictionary), (man beachte den Unterschied!) – einmal abgesehen von weiteren Definitionen in diversen Industrien oder EU-Vorschriften. Persönlich glaube ich, dass der Vertragswert unter Berücksichtigung beider Aspekte („Preis“ und „Kosten“) zu ermitteln ist, wobei die beiden Parameter nicht mit einer direkten Geldzahlung, die von der jeweiligen Partei zu erhalten oder zu leisten ist, verwechselt werden sollten.

Wenn wir über Kosten eines Geschäfts sprechen, denken Vertragsparteien oft an Kosten wie Preis (Vergütung), Entwicklungs- und Produktionskosten oder Transportkosten in Relation zum erzielbaren Marktpreis eines Produkts über die jeweilige Vertragslaufzeit. Jedoch, und zugegebenermaßen in gewisser Abhängigkeit zur Professionalität der jeweiligen Vertragspartei, werden die (weiteren) Konditionen eines Vertrags eher seltener als „Kosten“ bei der Bewertung des Vertragswerts berücksichtigt. Vielleicht ist dieses Phänomen psychologischer Natur: das Business glaubt, den „wahren“ Vertrag zu schließen, während die Anwälte lediglich „ihr Ding“ machen. Eine klare Verhandlungsstrategie muss jedoch auch eine Einschätzung der anderen Vertragskonditionen in die Bewertung des Vertragswerts einbeziehen. Nehmen wir zur Illustration ein simples Beispiel aus einem Anfängerkurs für Vertriebsmitarbeiter: die unter einem Kaufvertrag zu erzielenden Gewinne können sich signifikant verringern, je größer (länger) die Gewährleistungsverpflichtungen des Verkäufers sind. Rein statistisch gesehen steigt die Zahl der Gewährleistungsfälle mit der Dauer der Gewährleistungsfrist. Aus jenem Grund kann im Rahmen der Verkaufs von (Verbraucher)Produkten in einer anderen Jurisdiktion (im Ausland) ein Blick in die dort geltenden Gewährleistungsregelungen erleuchtend sein: Einen Produktpreis, der auf Basis einer 90-tägigen Gewährleistungsfrist kalkuliert ist, wird ggf. schwerlich in einem Land mit obligatorischer zweijähriger Gewährleistungsfrist (z. B. für Verbraucherprodukte) zu halten sein.

Welche Punkte sollte man also berücksichtigen, wenn man Vertragsverhandlungen unter Berücksichtigung des Vertragswerts strukturieren möchte? Ich würde zwischen internen und externen Faktoren unterscheiden. Interne Faktoren (also solche, auf die eine Partei ggf. direkten Einfluss hat) mit Bedeutung für den Vertragswert wären bspw. Preis, Transaktionskosten, Entwicklungs- und Herstellungskosten, Beschaffungskosten, Teilequalität, Herstellungsqualität, zukünftige Produktverbesserungen, Gewährleistung, Haftung und Kosten für potentielle Streitbeilegungen (was wiederum mit der Frage des anwendbaren Rechts und des Gerichtsstands zusammenhängt). Weitere interne Faktoren im Hinblick auf das Vertragsverhältnis können Abstimmungsverzögerungen, „dead locks“ oder auch unklar formulierte Vertragsklauseln (Risiko eines Rechtsstreits) darstellen. Externe Faktoren (also solche, die von außen auf eine Partei einwirken) können Marktänderungen, Zunahme der Wettbewerber, zukünftig konkurrierende Technologien oder zukünftige regulatorische Änderungen darstellen. Alle diese Punkte können zusätzliche Aufwendungen bedeuten, die sich am „Preis“ bzw. an der vertraglichen Gegenleistung der anderen Vertragspartei messen müssen. Man wird wahrscheinlich nie den Eintritt des einen oder anderen Risikofaktors vermeiden können, jedoch sollte man für solche Fälle die Möglichkeiten zum Schutz der eigenen Interessen im Verhandlungsprozess berücksichtigen. Das können je nach dem Haftungsfreistellungen oder Haftungsbegrenzungen sein. In der Regel gibt es jedoch mehrere Möglichkeiten, einen Vertrag unter appropriater Berücksichtigung der Interessen beider Parteien zu strukturieren. Natürlich ist es sachdienlich, den Preis unter Berücksichtigung des Liefervolumens zu verhandeln. Jedoch ist es ebenfalls der Sache zuträglich, beim Verkauf z. B. eines technischen Geräts ebenfalls Punkte wie Gewährleistung, regulatorische Anforderungen, Haftung und Jurisdiktion als Kostenfaktoren zu berücksichtigen. Einige Controller können ein Lied davon singen, dass ungeachtet eines enormen vom Vertrieb erzielten Umsatzes Qualitätsprobleme oder Änderungen im regulatorischen Umfeld schon so manches Mal die Gewinnspanne marginalisieren konnten.

Insbesondere bei geschäftlichen Aktivitäten im Ausland können sich bei Vertragsverhandlungen oft verschmähte Punkte wie Fragen des anwendbaren Rechts, Rechtswegs oder Gerichtsstands als versteckter Kostenfaktor erweisen. Letztlich nützt es nichts, einen guten Preis ausgehandelt zu haben, wenn Unsicherheit über die Durchsetzung der vertraglichen Absprachen bleibt, man einem Rechtsstreit in einer unbekannten Jurisdiktion ausgesetzt ist, oder sich plötzlich unvorhergesehenen strengen regulatorischen Hürden ausgesetzt sieht. Letztlich ist der Wert eines Rechts nur so gut wie die Kosten für dessen Durchsetzung.

Würden Anwälte also in Preisverhandlungen unterstützen? Sicher, jedoch immer mit Blick auf die mannigfaltigen Faktoren, die den Vertragswert ebenfalls bestimmen.

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Über den Autor Peter Lotz, M.C.J. (NYU) Rechtsanwalt, Attorney-At-Law (N.Y.) MAYRFELD Rechtsanwälte & Attorneys-At-Law
Peter Lotz ist Partner bei MAYRFELD. Er berät seit über 20 Jahren sowohl Fortune 500 als auch mittelständische Unternehmen aus dem In- und Ausland insbesondere im Zusammenhang mit der grenzüberschreitenden Entwicklung, Akquisition, Lizenzierung und Kommerzialisierung von neuartigen Technologien.
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